„Arbeit ist das halbe Leben“ – Ist das normal?

„Arbeit ist das halbe Leben“ – Ist das normal?

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Die Vielfalt der Arbeitsformen und die Perspektive auf das Selbstverständnis von Normalität waren Gegenstand der fünften Veranstaltung der Ringvorlesung an der HSMW. Erziehung ist das Thema am 3. Juni.

Blick von hinten auf das Publikum in einem Hörsaal. Auf dem Laptop einer Besucherin und projiziert an der Rückwand des Hörsaals ist die Titelfolie zu sehen unter anderem mit dem Text „Was ist normal?' und dem Porträt der heutigen Referentin.
Sieben Mal stellt in diesem Sommersemester die Ringvorlesung die Frage „Was ist normal?“. Im fünften Vortrag gibt sie Antworten, Denkanstöße und Diskussionsstoff im Blick auf unser Verständnis von Arbeit und auf ihre vielfältigen Formen.

Man stelle sich vor: Arbeit würde nur noch von unbefristeten, voll sozialversicherten Teil- oder Vollzeitarbeitenden geleistet. Das entspräche der offiziellen Definition eines Normalarbeitsverhältnisses. Eines ist sicher: Unser Alltag wäre ein anderer, denn dann würden z.B. alle ehrenamtlich Engagierten, pflegenden Angehörigen oder geringfügig Beschäftigten wegfallen. Dieses Gedankenexperiment war Teil der Vorlsung am 12. Mai, hinterfragte die Bedeutung von Arbeit und nahm die Bereiche in den Blick, die in unserer Gesellschaft oft ungesehen sind.

Die Soziologin und Juniorprofessorin Tine Haubner von der Universität Bielefeld nahm das Publikum in ihrem Vortrag mit auf eine Reise durch die vielfältigen Formen von Arbeit. Dabei bot sie einen kritischen, historischen und interdisziplinären Blick auf das Thema: Die Referentin stellte die Normalität des modernen Arbeitsbegriffs infrage und warb für ein breiteres, inklusiveres Verständnis von Arbeit, das auch unbezahlte und informelle Tätigkeiten berücksichtigt. Ihr Ziel: eine gerechtere Bewertung von Arbeit – in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft.

Dabei zeichnete sie die historische Entwicklung von Arbeit und Arbeitsbegriffen nach – von der Antike bis in die Gegenwart. Denn: Erst mit der Industrialisierung wurde Erwerbsarbeit zunehmend zur gesellschaftlichen Norm. Haubner stellte die dominante Vorstellung von Arbeit als linearen Fortschritt infrage. Stattdessen plädierte sie für ein Verständnis von Arbeit als vielfältig, gleichzeitig und global unterschiedlich organisiert.

Vor allem die Verengung des Arbeitsbegriffs auf bezahlte, außerhäusliche Erwerbsarbeit bildete den Mittelpunkt ihrer kritischen Auseinandersetzung – eine Definition, die in Politik, Statistik und Wissenschaft dominiert. Unbezahlte Sorgearbeit – etwa Kinderbetreuung, Hausarbeit oder Pflege von Angehörigen – bleibt oft unsichtbar, obwohl sie essenziell für das Funktionieren der Gesellschaft ist.

Der Vortrag forderte eine „transversale Arbeitssoziologie“, die Arbeit als vielfältiges Spektrum begreift – jenseits klassischer Erwerbsarbeit. Abschließend betonte Haubner, dass der gesellschaftliche Umgang mit Arbeit nicht naturgegeben, sondern politisch und kulturell formbar ist. Nur durch eine breitere Definition von Arbeit ließen sich soziale Gerechtigkeit und Teilhabe neu denken.

Jede Ausgabe der Ringvorlesung an der Hochschule Mittweida bietet Vorträge für die breite Öffentlichkeit und fördert so den Blick über den akademischen Tellerrand. Auch bei der fünften Vorlesung der aktuellen Reihe "Was it normal?" am 12. Mai ergab sich im Anschluss ein spannender Austausch – zum Beispiel zur Frage, wie Arbeit in einer digitalisierten Welt neu gedacht werden sollte und mit welchen Herausforderungen angehende Arbeitnehmer:innen umgehen müssen.

Ringvorlesung international

Am 3. Juni, im sechsten und vorletzten Vortrag der Reihe, referiert der niederländische Professor Jos Beelen von der The Hague University of Applied Sciences in Den Haag über die Normalitätsvorstellungen in der internationalen Bildung und die Auseinandersetzung mit anderen Kulturen. Der Vortrag ist Teil der International Week an der HSMW und auf Englisch, wird aber live auf Deutsch untertitelt.

Alle Informationen zu den Vorträgen und Vortragenden der Öffentlichen Ringvorlesung.

Text: Robin Biebl/Helmut Hammer
Fotos: Helmut Hammer