„Bitcoin ist die E-Mail der Blockchain“

„Bitcoin ist die E-Mail der Blockchain“

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Blockchain ist das Buzzword der Informatik. Nur wie funktioniert die Technologie? Prof. Dr.-Ing. Ittner erklärt es mit bildhaften Beispielen.

Prof. Dr.-Ing. Andreas Rittner spricht vor Publikum. Im Hintergrund ist eine Präsentation an die Wand projiziert.
Andreas Ittner wurde im Jahr 2007 zum<br> Professor für Informatik/Verteilte<br> Informationssysteme an der<br> Hochschule Mittweida berufen.

Herr Professor Ittner, die breite Öffentlichkeit erreichte der Begriff „Blockchain“ erstmals mit dem Hype um Kryptowährungen. Dieser scheint langsam abzuflauen, seit dem Höchststand im Dezember 2017 hat sich der Wert eines Bitcoins mehr als halbiert. Gerade fiel der Wert unter die 6.000 US Dollar-Marke – ein Verlust von 1.000 Dollar binnen 14 Stunden. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht?

Das ist nicht das erste Mal, sondern bereits mehrfach passiert. Seit dem Jahr 2009 gab es sechs solcher „Blasen“. Jede davon war größer als die vorhergehende. Der Hype Ende 2017 war dabei eher förderlich: Letztlich hat der enorme Kursanstieg dazu gefördert, dass die darunterliegende Technologie der breiten Öffentlichkeit nahegebracht wurde. Nicht nur Bitcoin, auch Blockchain fand plötzlich in den Medien statt – und fast jedes Unternehmen setzt sich deshalb aktuell mit der Technologie auseinander und ist auf der Suche nach Anwendungsmöglichkeiten.

Jedes Unternehmen?

Manchmal ist das schon verrückt. (lacht) Stellen sie sich Blockchain als Hammer vor. Aktuell laufen viele Unternehmen wild durch ihre Wohnung und suchen nach dem Nagel, auf den sie draufschlagen können: „Wir haben die Lösung. Nur wo ist das dazugehörige Problem?“ Vielleicht resultiert das auch daraus, dass einige Organisationen erst Internet und im nächsten Schritt Social Media etwas verschlafen haben. Viele sagen sich: „Das darf uns nicht zum dritten Mal passieren!“ Das führt manchmal zu Aktionismus. Man hämmert wild ohne Nagel drauflos, indem man ein Blockchain-Projekt umsetzt.

Welche Anwendungen wären konkret denkbar und welche Vorteile hätten sie für den Einzelnen?

Wir als Blockchain Competence Center Mittweida haben die Szenarien in drei Kategorien umrissen. Erstens, Registerfunktionalität. Blockchain ist eine Datenbank, die nur geschrieben und gelesen, aber nicht nachträglich verändert oder gelöscht werden kann. Eine praktische Anwendung ist die digitale Identität. Man müsste sich nicht mehr bei jedem Portal Benutzernamen und Passwort überlegen sowie sich mit umständlichen Werkzeugen wie Postident oder Videoident verifizieren. Die Anmeldung würde mit der einmal eingerichteten digitalen Identität erfolgen. Praktisches Beispiel: Sind Ihre Zeugnisse und Zertifikate blockchainbasiert gespeichert, können Sie sich damit für einen Studien- und später für einen Arbeitsplatz bewerben. Manipulationen, etwa durch Bildbearbeitung mit Photoshop, wären somit ausgeschlossen. Bei einem Arztwechsel würden die dauerhaften identischen Untersuchungen unnötig, weil man punktuell Informationen aus seiner digitalen Gesundheitsakte für den entsprechenden Mediziner freischalten kann.

Zweitens?

Transaktionen digitaler Werte und Güter. Bei diesem Thema war Geld naheliegend. Bitcoin ist digitalisiertes Geld. Im zweiten Schritt denkt man darüber nach, wie man Anteile, Lizenzen, Gutscheine, Rabatte, Wertmarken, Pfand, Optionen, Arbeitsleistungen – kurz alles, was werthaltig ist – über die Blockchain transferierbar machen kann. Das ist das Thema des digitalen Zwillings: Wie kann man Dinge aus der realen Welt digitalisieren und dann blockchainbasiert transferieren?

Prof. Dr.-Ing. Andreas Ittner steht neben einem Vorlesungspult in einem großen Hörsaal der Hochschule Mittweida, im Hintergrund ist eine unbeschriebene Tafel sichtbar.Und drittens?

Automatisierung über sogenannte Smart Contracts. Das finde ich persönlich hochgradig spannend. So kann man die nachvollziehbare, transparente Ausführung von Aktionen sicherstellen. Das bedeutet, Verträge werden als Programm verstanden. Sie sind aus einer Vielzahl von Wenn-Dann-Beziehungen in Code gegossen. Tritt Sachverhalt A ein, wird Ereignis B automatisch ausgelöst. Damit ist im Nachhinein nichts mehr änderbar und vor allem nichts mehr interpretierbar, wie es im heutigen Recht üblich ist. Ein Anwendungsfall ist eine programmierte Versicherung: Ein Smart Contract überwacht, ob ein Flug ausfällt oder verspätet ist. Sobald dieser Fall eintritt, bekommt der Versicherungsnehmer automatisiert seine Entschädigung überwiesen. Eine „Firma ohne Menschen“, wie es Die Zeit genannt hat. Slock.it, ein in Mittweida ansässiges Unternehmen, das den 3. Mittweidaer Blockchain Ideenwettbewerb sponsert, verfolgt genau diese Richtung der Automatisierung.

Trotz der vielfältigen Potenziale sind die universellen Ansätze immer noch nur einer kleinen Gruppe Interessierter bekannt. Die Öffentlichkeit konzentriert sich beinahe ausschließlich auf Aspekte des Finanzwesens. Wie erklären Sie sich dies?

Wenn man in der Digitalisierungsgeschichte ein wenig zurückblickt, ist das das naheliegend. Das Internet als technologische Basis brachte als erste Anwendung die E-Mail zur Kommunikation hervor, das World Wide Web, auf das wiederum E-Commerce, Websuchen und Social Media aufgebaut wurden, folgte erst später. Bitcoin war also die E-Mail der Blockchain. Was deren WWW sein wird, weiß derzeit noch niemand genau. Die Technologie bietet verschiedenste Möglichkeiten. Nehmen wir die digitale Identität einer Person und entwickeln sie weiter: Was ist die Identität einer Maschine, einer Einrichtung, einer Software? Durch Blockchain kann ein Gegenstand erstmalig in der Geschichte autonom über monetäre Werte verfügen – und niemand kann ihr diese Werte entreißen. Wir stehen an der Schwelle zu einer technischen Person, die die uns bekannten natürlichen und juristischen Personen ergänzt. Das ist rechtlich noch nicht geklärt. Muss es aber, spätestens im Kontext des autonomen Fahrens. Stellen Sie sich vor, Ihr Auto fährt Sie zur Arbeit und sucht dann selbstständig einen Parkplatz – den muss es autonom bezahlen können. Dafür muss dieses Fahrzeug, ein Gegenstand, über monetäre Werte verfügen können. Das klingt nach Science-Fiction, aber vor 15 Jahren konnte sich noch niemand ein autonomes Auto im Detail vorstellen. Das wiederholt sich jetzt bei der Vorstellung, dass eine Maschine mittels einer Software Geld verwaltet.

Neben Wissenschaftlern und Unternehmern erwarten Sie mit Dr. Johannes Beermann ein Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank zur Blockchain Autumn School 2018 vom 10. bis 14. September. Denken Sie, dass Politik und andere staatliche Institutionen die Tragweite der möglichen Auswirkungen dieser Technologie bereits erkannt haben?

Es setzt langsam ein, hoffentlich erkennt man die Gelegenheit. Schauen Sie, heute spricht man von GAFAM – Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft. Diese Internetgiganten sind alle US-Unternehmen, die man mit dem Silicon Valley assoziiert. Im Bereich Blockchain gibt es das Crypto Valley in der Schweiz und die Start-Up-Metropole Berlin. Das kann die Politik noch besser fördern. Sie kann den US-amerikanischen Internetgiganten mit Blockchain die nächste Evolutionsstufe des digitalen Informationszeitalters entgegenstellen. Das ist eine riesige Chance für den europäischen und deutschsprachigen Raum – auch deshalb gibt es die Initiative der Blockchain Schaufensterregion Mittweida.

Christoph Jentzsch vom Unternehmen Slock.it im Jahr 2017 beim Vortrag in einem Hörsaal der Hochschule Mittweida.Die Blockchain Autumn School ist bereits die dritte Veranstaltung dieser Art in Mittweida seit dem Herbst 2017. Warum die hohe Frequenz?

Das Thema entwickelt sich mit extremem Speed. Selbst wenn man sich Vollzeit damit beschäftigt, kommt man kaum nach. Wir wollen im Gleichklang mit dieser Geschwindigkeit voranschreiten, deshalb der Halbjahresrhythmus. Hinzu kommt, dass die Blockchain Autumn School weder eine rein wissenschaftliche noch eine rein praktische Konferenz ist. Hier erklärt der Wissenschaftler nicht das letzte Epsilon und der Verkäufer gibt dem Vertriebler nicht das Mikrofon in die Hand, um Produkte anzupreisen. Es ist ein Spagat. Es gibt Theoriesessions aus der Wissenschaft, Praxissessions am Computer zum Ausprobieren und Vorträge von Unternehmen, die Leistungen und Projekte aus der Praxis vorstellen und damit Lust auf das Thema erzeugen. Diese Geschwindigkeit zeigt sich auch in der Konzeption unseres Masterstudiengangs „Blockchain & Distributed Ledger Technologies“.

Inwiefern?

Die zwei Jahre Studienzeit haben wir in zwei Präsenz-, ein Praktikums- und ein Masterarbeitssemester geteilt. Es ist kein Lernen im Elfenbeinturm, die Studierenden kommen sehr schnell in echte Unternehmen und entwickeln reale Projekte. Der Studiengang ist sehr praxis- und anwendungsbezogen. Und: Der Inhalt wird von Jahrgang zu Jahrgang angepasst. Ich beneide manchmal die Kollegen, die altgriechische Geschichte lehren: Da bereitet man einmal seine Vorlesungen vor und kann sie die nächsten 30 Jahre halten. (lacht) Das funktioniert in der Informatik und erstrecht bei künstlicher Intelligenz und Blockchain nicht. Wissenschaftlich aktuelle Literatur in Form von Büchern gibt es für Blockchain kaum, meist werden Whitepaper im Internet veröffentlicht, die zum Teil noch nicht mal auf einer Tagung eingereicht wurden, sondern einfach in Diskussionsforen zur Verfügung gestellt und von der Community selbst bewertet und gefiltert werden. Das macht es spannend. Die Gefahr ist, dass sich eine Elite bildet und allen anderen davoneilt. Die Lokomotive darf nicht aus dem Bahnhof fahren und die Waggons zurücklassen. Die breite Anwenderschaft muss mitgenommen werden. Dazu wollen wir mit den Blockchain Autumn Schools und Blockchain Spring Schools beitragen.