Siebenmal anders normal
Siebenmal anders normal
Öffentliche Ringvorlesung schließt mit siebter Veranstaltung und einer Zusammenschau der Perspektiven auf die Frage „Was ist normal?“. Abwechslung: Im nächsten Sommer kommt die Reihe „Dialog Kontrovers“.
Mit der Abschlussveranstaltung und dem zugleich siebten Vortrag am 24. Juni endete die diesjährige öffentliche Ringvorlesung an der Hochschule Mittweida (HSMW). Die Reihe stand unter der Überschrift „Was ist normal?“. Professor Christoph Meyer, Historiker und Prorektor Bildung der HSMW, ließ in einer facettenreichen Reflexion über den Begriff der Normalität die vergangenen sechs Vorträge Revue passieren und setzte eigene Akzente.
Schon zu Beginn machte Meyer klar: Normalität ist kein festes Konzept, sondern ein gesellschaftliches Konstrukt. Er ließ das Publikum sammeln, was es als „nicht normal“ empfindet: von „asozial“ über „psychisch krank“ bis „Gewalt“ und „Ungerechtigkeit“. Die Sammlung machte deutlich, dass Normalität immer auch von Abweichung und gesellschaftlichen Wertungen lebt.
Meyer spannte den Bogen von historischen Normalitätsvorstellungen – etwa im Nationalsozialismus oder in der Nachkriegszeit – bis hin zu aktuellen politischen Debatten. Besonders kritisch beleuchtete er, wie Parteien den Begriff „normal“ als Kampfbegriff nutzen, ohne ihn klar zu definieren, und führte damit einen Gedanken der Auftaktvorlesung im März weiter. Auch den Wandel des Normalarbeitsverhältnisses und die Unsichtbarkeit informeller Arbeit und damit das Thema der fünften Veranstaltung, griff er auf. An die zweite Vorlesung anknüpfend hinterfragte Meyer, ob gesellschaftliche Resilienz immer positiv ist oder auch zur Akzeptanz problematischer Zustände führen kann. Und mit Verweis auf die zweite Veranstaltung in diesem Sommer zeigte er, wie sich Normalitätsvorstellungen im Blick auf die psychische Gesundheit verändern und neue Krankheitsbilder entstehen.
Zum Abschluss betonte Meyer, dass Normalität kein exklusives oder ausgrenzendes Projekt sein darf. Vielfalt und das „Andere“ gehörten dazu. Die Ringvorlesung insgesamt machte deutlich, wie wichtig es ist, gesellschaftliche Normen immer wieder kritisch zu hinterfragen.
Act normal! Normal in den Niederlanden
Zuvor am 3. Juni, im vorletzten Teil der diesjährigen Ringvorlesung, nahm Professor Jos Beelen von der The Hague University of Applied Sciences die Zuhörer:innen mit auf einen humorvollen und augenzwinkernden Ritt durch die niederländische Kulturgeschichte. Die englischsprachige Vorlesung war Teil der International Week der HSMW und zählte rund einhundert Besucher:innen aus vielen Ländern.
Unter der Überschrift „Act normal! Verhalte Dich normal!“ erklärte der Experte für Globales Lernen unter anderem, was es mit „Chin.-Ind. Spec. Rest.” auf sich hat. Die Abkürzung steht für “Chinees-Indische Specialiteiten Restaurant“. Diese Restaurants entstanden historisch durch die Verschmelzung kulinarischer Traditionen chinesischer Einwandernder und niederländischer Kolonialrückkehrender und fanden im Erdgeschoss noch der kleinsten Reihenhäuser ihren Platz. An diesen und anderen Beispielen – von Mayonnaise über Tulpenzwiebeln bis zu Rudi Carrell – zeigte auch Beelen, dass Normalität eine kulturelle Konstruktion ist. Dagegen schärfe die Beschäftigung mit dem Fremden, dem Anderen, den Blick auf das Eigene und dem, was wir für Normalität halten.
Nachschauen und Vorausblicken
Videos und Berichte zu fast allen Vorträgen finden sich auf der Veranstaltungswebsite des Instituts für Kompetenz, Kommunikation und Sprachen der HSMW (IKKS). Es arbeitet bereits an der öffentlichen Veranstaltungsreihe für das Sommersemester 2026. Dann wird es zu einem aktuell wichtigen Thema sechs Ausgaben des „Dialog-Kontrovers“ mit Expert:innen aus unterschiedlichen Disziplinen geben.
Text: Robin Biebl/Helmut Hammer
Fotos: Helmut Hammer