Gewalt gegen Frauen sichtbar gemacht

Gewalt gegen Frauen sichtbar gemacht

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Vorlesung mit Erkenntnissen aus sächsischer Studie. Nächste Veranstaltung am 29. April über die Stigmatisierung seelischer Krankheiten.

Ein Tablet auf einem Klapptisch im Hörsaal. Das Display zeigt eine handgeschriebene Notiz mit der Überschrift zur Vorlesung: „Zwischen Normalität und Tabu – die unsichtbare Gewalt gegen Frauen“.
Thematisiert: „Gewalt gegen Frauen“ in der dritten Veranstaltung der öffentlichen Ringvorlesung an der Hochschule Mittweida im Sommersemester 2025.

In der dritten Veranstaltung der öffentlichen Ringvorlesung „Was ist normal?“ an der Hochschule Mittweida (HSMW) sprach der Sexualwissenschaftler, Sozialwissenschaftler und Biologe Professor Heinz-Jürgen Voß von der Hochschule Merseburg am 15. April über seine aktuelle Forschung zu geschlechtsspezifischen Gewaltformen. Das Interesse an diesem brisanten Thema war groß: Über einhundert Studierende und Mitarbeitende der HSMW sowie Bürger:innen der Hochschulstadt hörten aufmerksam zu. Viele waren bewegt von den Zahlen, Zusammenhängen und persönlichen Zeugnissen aus der Viktimisierungsstudie Sachsen (VisSa) 2023, die Voß präsentierte.

Die Studie war vom Sächsischen Justizministerium in Auftrag gegeben worden. Sie leistet einen wichtigen Beitrag zur Sichtbarmachung von Gewalt – und zur Weiterentwicklung von Schutz- und Hilfsangeboten. Voß und seine Kolleg:innen untersuchten häusliche Gewalt, Stalking und sexualisierte Gewalt in Sachsen. Dabei lag der Fokus auf dem persönlichen Erleben der Betroffenen. Ziel war es, ein realistisches Bild vom Ausmaß, den Ursachen und Folgen dieser Gewaltformen zu gewinnen – sowie zu erfassen, ob und welche Hilfsangebote tatsächlich genutzt werden.

Heinz-Jürgen Voß stellte eine wachsende öffentliche Aufmerksamkeit und gesellschaftliche Sensibilität fest. Betroffene trauten sich vermehrt, über ihre Erfahrungen zu sprechen, und die Anzeigebereitschaft (zumindest bei weiblichen Opfern) steige. Die Studie zeigt: Nahezu alle Befragten berichteten von Erfahrungen mit sexueller Belästigung – darunter Sprüche, aufdringliche Blicke oder unerwünschte körperliche Nähe. Viele haben körperliche oder psychische Gewalt in Partnerschaften erlebt, oft schon als Minderjährige. Die Täter sind fast immer männlich und stammen meist aus dem direkten sozialen Umfeld. Besonders betroffen sind Menschen, die Partnerschaftsgewalt und Vergewaltigungen erfahren mussten oder damit bedroht wurden – ihr lebenslanger Leidensdruck ist hoch. Deutlich ist auch: Wenn Kinder im Haushalt leben, dann richtet sich die Gewalt in der Hälfte der Fälle auch gegen sie. Stalking ist ebenso weit verbreitet, häufig durch ehemalige (männliche) Partner. Trotzdem nehmen nur wenige Betroffene professionelle Hilfe in Anspruch oder erstatten Anzeige. Gründe dafür sind unter anderem Scham oder die Angst, nicht ernst genommen zu werden.

Voß betonte, dass Sachsen sich nicht von anderen Bundesländern unterscheidet und die beschriebene Gewalt kein Randphänomen ist, sondern die Mitte der Gesellschaft betrifft. Umso wichtiger sei es, diese Gewalt als strukturelles – anstatt individuelles – Problem zu begreifen, weiter über die dahinterliegenden Wirkmechanismen und Rollenbilder aufzuklären, Betroffenen zuzuhören und niedrigschwellige Hilfsangebote auszubauen.

In der Fragerunde interessierte unter anderem die künftige Finanzierung für Schutz- und Hilfsangebote sowie für die weitere Forschung. Viele Zuhörende verließen den Saal nachdenklich – mit einem gestärkten Bewusstsein für einen großen Missstand in unserer Gesellschaft, der gern verdrängt wird und die Opfer oft ungesehen lässt.

Nächste Vorlesung am 29. April

Kaum weniger brisant geht es bei der öffentlichen Ringvorlesung weiter: In der vierten Vorlesung unter der Überschrift „Das Gegenteil von psychisch krank ist gesund und nicht normal“ geht es am 29. April um seelische Krankheiten und ihre Stigmatisierung. Die promovierte Neurowissenschaftlerin Nadine Bernhardt von der TU Dresden führt dazu auch in das Verständnis von Neurodiversität ein.