Dialog Kontrovers: Start in die zweite Halbzeit

Dialog Kontrovers: Start in die zweite Halbzeit

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Am 14. Mai: Klimaschutz als Kampf der Generationen – gegen- oder miteinander?
Und ein Rückblick auf die erste Halbzeit.

Dialog Kontrovers an der Hochschule Mittweida – mit Expert:innen auf dem Podium und dem Publikum.

Der Dialog Kontrovers in diesem Sommersemester geht in der kommenden Woche in die zweite Halbzeit – und das mit einem Thema, bei dem der „Kampf der Generationen“ auch ein gemeinsamer ist – im Angesicht eines gesellschaftlichen Risses durch alle Altersgruppen: „Klimaschutz als Balanceakt zwischen den Generationen – Was verbindet und was trennt “. Fest steht: Die Folgen des Klimawandels werden die Generationen unterschiedlich treffen. Zu beobachten ist auch: In den Klimaprotesten der jungen – letzten – Generation schwingt der Vorwurf an die Älteren mit, auf Kosten der Zukunft der Jüngeren zu leben.

Lässt sich aushandeln, wie gesellschaftlicher Wandel im Klimawandel gelingen kann? Das wird eine der Fragen sein, auf die am 14. Mai, ab 17:30 Uhr beim Dialog Kontrovers Antworten gesucht werden. Dabei sein werden Constance Nennewitz von Psychologists for Future/Psychotherapists for Future (Psy4F), ein:e Vertreter:in von Die letzte Generation Chemnitz und Dr. Hans-Joachim Gericke, Policy Officer im Brüsseler Verbindungsbüro des Freistaats Sachsen bei der EU. Willkommen zum Mitdiskutieren – zurück im Studio B – sind auch alle Hochschulmitglieder und die Bürger:innen der Hochschulstadt.

„… schon immer so gemacht“ – ausnahmsweise woanders

Zuletzt war der Dialog Kontrovers zu Gast in der neuen Mittweidaer Stadtbibliothek. Ganz kontrovers zum Thema „Das haben wir schon immer so gemacht“ wechselte man am 23. April die Location. Im bis auf den letzten Platz besetzten Veranstaltungssaal ging es darum, wie Generationen ihre Zukunft miteinander aushandeln und um Vorurteile, wie die jungen innovativen Köpfe gegen die Alteingesessenen kämpfen.

Dr. Petra Schickert vom Kulturbüro Sachsen e. V., älteste in der Runde, aber aktiv in einer relativ jungen Organisation, widerlegte das Stereotyp der blockierenden alten Generation und stellte fest: Auch junge Menschen können ganz schön „lahm“ sein.

Lucas Schreckenbach als jüngster Podiumsteilnehmer berichtete aus erster Hand, wie er in seiner Kommune Limbach-Oberfrohna einen Jugendbeirat gegründet hat, der die Interessen der jüngeren Stadtbewohner:innen vertritt. Sie seien vor allem in den ländlichen Regionen den älteren Generationen zahlenmäßig unterlegen und somit oft auch schlechter repräsentiert. Es helfe, neben beständigem Erinnern und Aufmerksammachen auf die Belange der Jungen auch die Bereitschaft, Kompromisse einzugehen.

Nina-Maria Mixtacki, der Evangelischen Pfarrerin von Mittweida, sind solche Konflikte in ihrer Kirche nicht fremd. Sie gab Einblicke in die Herausforderungen einer der ältesten Institutionen in unserer Gesellschaft zwischen dem Bewahren von Traditionen und der Notwendigkeit, sich gemeinsam mit der Gesellschaft weiterzuentwickeln.

Stephan Beetz, Professor für Soziologie und Empirische Sozialforschung an der Hochschule Mittweida, moderierte die auch vom Publikum lebhaft mitgestaltete Diskussion. Gemeinsam gelangten Podiumsteilnehmende und Publikum zum Schluss, dass ältere Generationen nicht per se „Bremsende“ sind, ebenso, wie es auch weniger innovationsfreudige unter den jungen Menschen gibt. Viele einzelne Faktoren, wie das individuelle Umfeld oder der Charakter haben einen Einfluss auf unsere Bereitschaft, uns selbst und unsere Umwelt zu verändern und Neues zu probieren oder Bestehendes zu bewahren. Dabei ist oft beides möglich, wenn man kompromissbereit aufeinander zu geht.

Gendershift – Rollenverlust fürs Geschlecht

Am 9. April beschäftigte sich der Dialog Kontrovers sich mit dem Megatrend Gender Shift, also dem weltweit beaobachtbaren Phänomen, dass Geschlechterrollen an Verbindlichkeit verlieren. Das Zukunftsinstitut bezeichnet Megatrends als „Lawinen in Zeitlupe“ mit globalen Auswirkungen auf Gesellschaften, Organisationen und alle ihre Individuen.

Die Sozialanthropologin Pauline Seuß erklärte das „Märchen der Heteronormativität“ über die kulturelle Annahme, dass Heterosexualität die einzige „richtige“ Form der geschlechtlichen Identität und sexuellen Orientierung ist, und dass männlich-weibliche Beziehungen die einzige akzeptable Form von Beziehungen sind. Diese Vorstellung ignoriere nicht nur die Vielfalt menschlicher Sexualität, sondern trage auch dazu bei, LGBTQ+-Personen zu marginalisieren und zu stigmatisieren. Insgesamt sei Heteronormativität ein Instrument zur Aufrechterhaltung von Machtstrukturen und patriarchalen Systemen, indem sie bestimmte Identitäten und Beziehungsformen als überlegen darstellt und soziale Normen und Institutionen unterstützt, die diese Vorstellungen stärken.

Simon Moses Schleimer, Professor für Soziale Arbeit und Migration an der HSMW, stellte fest, dass Diversität keine Gefahr sei und auch schon „immer da war“ Im Gegenteil: Unsere Gesellschaft sei „superdivers“ – also nicht nur vielfältig in Bezug auf sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität, sondern auch in vielen anderen Aspekten, wie Ethnizität, Kultur, Sprache, Religion, sozioökonomischer Status, Bildungsniveau etc. Diese Vielfalt präge die Interaktionen, Beziehungen und kulturellen Normen innerhalb unserer Gesellschaft und erfordere ein breiteres Verständnis, Akzeptanz und Respekt für die Unterschiede zwischen den Menschen. Auch wenn Diversität bereits Realität ist, sei es dennoch entscheidend, dass wir Diversitätskompetenz entwickeln – also die Fähigkeit, mit Vielfalt umzugehen, Unterschiede zu respektieren, interkulturelle Kompetenzen zu entwickeln und inklusive Umgebungen zu schaffen.

Auch feministische Debatten blieben weiterhin wichtig, betonte Eunike Zobel vom Verein different people e.V. Dabei handele es sich eher um „Feminismen“ – also eine Vielzahl von Bewegungen, Ideen und Theorien. Diese helfen, so Zobel, diejenigen tief in uns und den Institutionen verwurzelten sozialen Normen zu verstehen, die Heteronormativität unterstützen und aufrechterhalten. Auch betonte sie die intersektionale Perspektive, die die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Formen der Ausgrenzung, Abwertung und Unterdrückung wie Geschlecht, Rasse, Klasse, sexueller Orientierung und anderen Identitätskategorien untersucht und eine ganzheitliche Analyse und einen inklusiven Aktivismus einfordert.

Pauline Seuß ergänzte: Man müsse sich das erst einmal leisten können, sich bei der Frage nach Gleichstellung der Geschlechter und dem Kampf gegen Geschlechterdiskriminierung herauszuhalten.

Hier lesen Sie auch den Rückblick auf die Auftaktveranstaltung des Dialog Kontrovers im Sommersemester 2024 am 26. März zum Thema „Ossis gegen Wessis".

Text: Robin Biebl, Helmut Hammer, Vanessa Juliane Herrmann, Babett Nimschowski
Fotos: Helmut Hammer