Kalenderblatt: Als Mittweida erstmals Hochschulstadt wurde

Kalenderblatt: Als Mittweida erstmals Hochschulstadt wurde

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1969 erfährt die akademische Bildung in Mittweida eine Aufwertung. Erstmals wird sie den Universitäten gleichgestellt – bald auch beim Promotionsrecht.

Der stellvertretende Minister für Hoch- und Fachschulwesen, Gregor Schirmer beruft Prof. Dr. rer. oec. habil. Reinhard Göttner zum ersten Rektor der Ingenieurhochschule Mittweida. Quelle: Hochschularchiv Mittweida, F_00069_005
Der stellvertretende Minister für Hoch- und Fachschulwesen, Gregor Schirmer beruft Prof. Dr. rer. oec. habil. Reinhard Göttner zum ersten Rektor der Ingenieurhochschule Mittweida. Quelle: Hochschularchiv Mittweida, F_00069_005

Als am 1. September 1969 die neuen Studentinnen und Studenten in Mittweida das neue Studienjahr beginnen, deutet zunächst wenig auf die großen Änderungen hin. Seit 1952 bildet die Ingenieurschule Mittweida ausschließlich in der Elektrotechnik aus. Verborgen hinter den Mauern, die bereits das Technikum Mittweida nutzte, hatte sich die Schule unterdessen schon monatelang auf eine bedeutende Änderung vorbereitet.

Die Ursachen dafür reichen bis in die 1950er Jahre zurück.Wunschvorstellungen von „stalinistisch“ geschulten Politikern und deren „sozialistische“ Experimente, die zwiespältige Politik der sowjetischen Besatzungsmacht, Rohstoffarmut und „Planwirtschaft“ führten zu andauernden Abwanderungs- und Fluchtbewegungen.

Mit dem Bau der Mauer hatte die DDR-Führung unter Walter Ulbricht beschlossen, die eigene Bevölkerung nach dem 13. August 1961 einzusperren. So sollte die Abwanderung von Fachkräften in die Bundesrepublik verhindert werden. Diese politische Entscheidung untergrub einerseits  die Akzeptanz in der eigenen Bevölkerung und international, gleichzeitig dauerten die wirtschaftlichen Schwierigkeiten trotzdem weiter an, wobei die vorher offene Grenze nicht mehr als Ausrede gebraucht werden konnte. Weder Wachstums- noch Versorgungsschwierigkeiten wurden durch den Mauerbau gelöst.

Reformierte Planwirtschaft bedingt Hochschulreform

Ab 1963 reformierte die SED mit dem „Neuen Ökonomischen System der Planung und Leitung“ daher ihre Planwirtschaft und beschloss 1967, festgelegte „Forschrittsindustrien“ zu fördern, zu denen etwa der Werkzeugmaschinenbau und die Elektrotechnik gehörten. In diesen Schwerpunkten sollte die DDR-Industrie auf Weltniveau gebracht und letztlich die Bundesrepublik abgehängt werden – „überholen ohne einzuholen“ lautete die von Ulbricht vorgegebene Maxime. Speziell beim Thema Automatisierung hatte die DDR großen Nachholbedarf.

Diese Wirtschaftsreform sind trotz kritischer Beäugung durch die Sowjetunion teils erfolgreich, bedingen aber eine Hochschulreform, die auch die Ingenieurschule in Mittweida betrifft. Die Industrie braucht neues, akademisch gebildetes Personal, das schon beim Einstieg ins Berufsleben über praktisches Wissen im naturwissenschaftlich-technischen Bereich verfügt. Neben dem weiteren Ausbau vorhandener Hochschulen entsteht deshalb ein neuer Hochschultyp, die „Ingenieurhochschule“. Er ist in den etwa vergleichbar zu den zeitgleich in Westdeutschland entstehenden Fachhochschulen.

Die Ingenieurhochschule Mittweida entsteht

Dass Mittweida als eine von nur zwölf Bildungseinrichtungen für diese Umwandlung ausgewählt wird, ist nur nachvollziehbar. Die Leistungsfähigkeit der Ingenieurschule in Mittweida galt als hervorragend. Schon in der Gründungszeit des Technikums im 19. Jahrhundert wurde hier zudem die Theorie mit starkem Praxisbezug verknüpft.

Einen bedeutenden Unterschied zu den Fachhochschulen im Westen gibt es allerdings: Die Ingenieurhochschulen der DDR besitzen den gleichen Rang wie die Universitäten und Technischen Hochschulen. Die neuaufgenommenen Studenten verlassen nun nach einem siebensemestrigen Studium als „Hochschulingenieure“ Mittweida – oder sie promovieren an Ort und Stelle. Anfangs besteht für die Ingenieurhochschule Mittweida ein eingeschränktes Promotionsrecht zum „Doktor-Ingenieur“, das ab 1. Februar 1980 vollständig in ihrer eigenen Verantwortung liegen wird. Erst nach der Wende sollte Mittweida dieses Recht verlieren, weil die Ingenieurhochschule die Rechtsform einer Fachhochschule annehmen wird.

Minister Schirmer während seiner Festrede anlässlich der Gründung der Ingenieurhochschule Mittweida. Quelle: Hochschularchiv Mittweida, F_00609_003.Schon direkt nach der Gründung stehen die etablierten Hochschulen und Universitäten der „neuen“ Einrichtung abwartend gegenüber, weil klare Konturen einer auf Technologie bezogenen Ausbildung zunächst noch nicht erkennbar sind. Organisatorisch besteht kaum ein Unterschied: Mit Prof. Dr. rer. oec. habil. Reinhard Göttner von der Hochschule für Verkehrswesen Dresden wird in Mittweida erstmals ein Rektor berufen. Er leitet die Hochschule bis 1981 und wird dabei von den ebenfalls neuinstallierten Prorektoren unterstützt. Die Sektionen, die an den DDR-Universitäten bereits die Institute abgelöst hatten, werden nun auch in Mittweida eingeführt. Sie ersetzen die in Mittweida bekannten Fachschaften.

Ingenieurhochschule und Universität: Gleichgestellt und doch anders

Wesentlicher Unterschied zwischen Ingenieurhochschulen und anderen Hochschultypen in der DDR ist in den ersten Jahren die Bezeichnung des akademischen Grades: In Mittweida werden „Hochschulingenieure“ ausgebildet, die im Vergleich zum Diplom-Ingenieur der Technischen Hochschulen und Universitäten ein wesentlich anwendungsorientierter gestaltetes Studium absolvieren. Geplant ist eine Arbeitsteilung im späteren Berufsleben: Der „Diplom-Ingenieur“ soll in der Forschung tätig sein, während der „Hochschulingenieur“ eher für die praktische Umsetzung dieser Forschungsergebnisse zuständig ist. Allerdings wird schon ab 1977 der Titel „HS-Ing.“ eingemottet und auch die Mittweidaer Absolventen zu Diplom-Ingenieuren.

Ein Grund dafür ist, dass der konstruierte Unterschied zwischen den drei Hochschultypen wesentlich geringer ausfällt, als zunächst gedacht. Die neue Sektion „Elektronischer Gerätebau“ vereint in Mittweida die von der Staatsführung geförderte Elektroniktechnologie und Informationselektronik. Studium und Forschung in Mittweida sind qualitativ gleichwertig.

Schon 1976 probieren die Mittweidaer Wissenschaftler, wie sie mit Laserstrahlung Silizium und Keramik bearbeiten können und erforschen die Laserfestigkeit optischer Schichten. 1988 wird aus dieser Forschung das spätere Laserzentrum Hochschule Mittweida (LHM) entstehen, das auf seinem Spezialgebiet anno 2019 zu den leistungsfähigsten Hochschuleinrichtungen in Deutschland gehören wird.

Unsere Kalenderblätter blicken auf die Geschichte der Hochschule Mittweida. Anhand aktueller Anlässe zeichnen wir bedeutende Meilensteine der Hochschulgeschichte nach.