„Streben nach Sinnesreizen darf nicht länger missbraucht werden“

„Streben nach Sinnesreizen darf nicht länger missbraucht werden“

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Friedrich Reinhard Schmidt, bundesweit beachteter Nach-Wende-Rektor der Hochschule Mittweida, widmet sich in einer unkonventionellen Denkschrift der Diskussion um Fridays for Future und der Klimapolitik.

Das Foto zeigt Reinhard Schmidt vor blauem Himmel.
Der Kilmakrise mit Bildung begegnen. Reinhard Schmidt meldet sich zu Wort. (Foto: privat)

Freiheit oder Verbote. Technischer Fortschritt oder weitreichende gesetzlich-steuernde Einschränkungen von Wirtschaft und Gesellschaft als Lösung der Klimakrise. Die öffentliche, politische Diskussion um nötige Schutzmaßnahmen angesichts des Klimawandels verläuft mittlerweile oftmals in Extremen.

Friedrich Reinhard Schmidt, Emeritus und erster Rektor der Hochschule Mittweida nach der deutschen Einheit, widmet sich nun mit einem ausführlichen und teilweise provozierenden Memorandum der Diskussion. Er kritisiert darin sowohl das Handeln einiger Klimaaktivist:innen („Ökodiktat!“) als auch das abwartende Handeln der Politik. Seiner Meinung nach ist der nötige Klimaschutz langfristig nur mit einer Neuausrichtung der Gesellschaft durch eine neue Bildungspolitik erfolgreich umzusetzen.

Neben Immanuel Kants kategorischem Imperativ „Handele nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“, stützt Schmidt seine Argumentation auf zwei weitere Grundsätze des menschlichen Lebens:

  • Vergeude keine Energie. Verwerte sie!“ (Wilhelm Ostwald) und
  • „Handele so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz menschlichen Lebens auf Erden.“ (Hans Jonas).

Während Kants Imperativ zwischenmenschliche Beziehungen bestimme, seien es die beiden anderen Imperative, die das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt definieren – sofern sie befolgt werden. Genau das ist nach Schmidts Meinung jedoch nicht der Fall. Der Mensch sei das einzige Lebewesen, das Energie bewusst außerhalb seines Körpers wandeln kann. Genau hier liegt für Schmidt das Problem begründet, das er mit plastischen Metaphern erklärt.

"Bioenergetische Waage" bestimmt das menschliche Handeln

Jedes Lebewesen, auch der Mensch, habe eine innere bioenergetische Waage, auf die jeden Tag ein von der Natur vorgegebener Leistungsumsatz gelegt werden müsse. Die mit der Nahrung aufgenommene chemische Energie werde in körperliche und geistige Arbeit verwandelt. Schon die industrielle Revolution habe dazu geführt, dass die Menschen kaum körperliche Arbeit mehr auf ihre Waagen legten. Die Digitalisierung führe nun dazu, dass auch der Anteil der geistigen Arbeit auf der Waage zurückgehe, und die übrige Energie zwangsläufig für eine künstlich geschaffene Erlebniswelt investiert werde.

„Der Mensch ist nur frei darin, auf welche Art und Weise er den für ihn notwendigen Leistungsumsatz auf seine bioenergetische Waage legt. Umgehen kann er diese nicht. Er muss die Leistungsumsatzdifferenzen ausgleichen“, so Schmidt. Dies nutzten etwa Reiseveranstalter, Sportartikelhersteller, Luftfahrtunternehmen, Kreuzfahrtschiffswerften und Fahrzeughersteller, die das Klima negativ beeinflussen, gleichzeitig jedoch ebenso Millionen eine Erwerbstätigkeit ermöglichen. „Die Suche nach Selbstverwirklichung in der künstlich geschaffenen statt in der Natur vorhandenen Erlebniswelt ist zu einem mächtigen, immer mehr Menschen mitreisenden Strom angeschwollen.“

Das Handeln des Menschen wieder in eine Balance zu bringen, die seine Umwelt nicht beispielsweise durch tausende Kilometer Anreise ins mit Skikanonen beschneite Wintersportresort belastet, ist auch in Schmidts Ansicht kein einfaches Unterfangen. Für ihn liegt die Lösung aber nicht allein in technischem Fortschritt oder umfangreichem staatlichen Eingreifen durch den Erlass von Verboten. „Von der Politik ergriffene, diesen Strom behindernde, mit den Imperativen von Jonas und Ostwald im Einklang stehende Maßnahmen werden als Eingriff in die persönliche Freiheit und als Diktatur empfunden“, führt Schmidt aus.

Die Lösung des Problems der Klimakrise: Bildung

Wie also das Problem lösen, das doch offenkundig in der Natur des Homo Sapiens begründet ist? „Eine Ökodiktatur löst keine der damit verbundenen Fragen, liefe es doch bei ihr, wenn auch mit anderer Zielstellung, auf eine Planwirtschaft hinaus“, schreibt Schmidt und prophezeit ihr Scheitern. „Zu verlockend sind die Möglichkeiten, dank technischen Energiewandels möglichst allen Leistungsumsatz in der Erlebniswelt auf die bioenergetische Waage zu legen.“

Der Ausweg sei die gesamtgesellschaftliche Akzeptanz eines Diktates der Vernunft, die nur im Verlauf einiger Generationen mit Hilfe von Bildung und Erziehung entwickelt werden könne. Das gelte insbesondere auch für die Ingenieurwissenschaften. „Bisher wurde in der Lehre die Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse für den technischen Fortschritt stärker gewichtet als damit verbundene Umweltfolgen. Aufgrund der erkennbaren Klimaentwicklung muss dieses Verhältnis umgekehrt werden“, fordert Schmidt. „Einer neuen zwischen naturwissenschaftlichen Fächern und Ethik stehenden Kulturerziehung käme dabei eine bedeutsame Rolle zu.“

Die Klimabewahrung könne nur gelingen nur, wenn mit Hilfe von Wissenschaft und Technik eine neue für alle Menschen lebenswerte und von allen akzeptierte Einheit von Erwerbs- und Erlebniswelt geschaffen werden kann. Letztlich führe die Neuausrichtung der Bildung dazu, dass die Menschheit ihren Leistungsumsatz umweltgerechter einsetze. Die Einheit von Zweck und Form sowie eine lange Nutzungsdauer aller produzierten Güter würde angestrebt. „Das Streben der Menschen nach Sinnesreizen darf nicht länger missbraucht werden, um auf Kosten der Umwelt Profit zu erzielen“, so Schmidt.

Zur Person

Prof. em. Dr.-Ing. habil. Dr. h.c. Friedrich Reinhard Schmidt arbeitete nach seinem Studium von Maschinenbau und Ökonomie an der Technischen Universität Dresden in verschiedenen Bereichen der Luftfahrtindustrie, des Maschinenbaus und der Elektronik, bevor er im Jahr 1970 an die damalige Ingenieurhochschule Mittweida kam.

Nach der Wiedervereinigung wurde er zum Professor berufen. Er sicherte als Gründungsrektor im Hochschultyp Fachhochschule nicht nur den Standort Mittweida, sondern baute die Hochschule Mittweida bis zum Ende seiner Tätigkeit als Rektor im Jahr 2000 deutlich aus. Als „Stimme der ostdeutschen Hochschulen“ fand der Ehrenbürger der Stadt Mittweida mit seinen pragmatisch-philosophischen Beiträgen große Aufmerksamkeit in der gesamtdeutschen Wissenschaftslandschaft.

Der obenstehende Text ist eine von Reinhard Schmidt autorisierte kurze Zusammenfassung seiner Denkschrift. Er stellt keinen Beitrag der Hochschule Mittweida zu aktuellen ökologischen oder politischen Fragen dar. Interessenten an der vollständigen Fassung der Schrift oder Diskussionsbeiträge leiten wir gerne an den Autor weiter.